Mittwoch, 14. Juni 2017

Was und wie wirkt das Impfen? - ein Blick ins Immunsystem

Mit den Erkenntnissen über das Immunsystem heutzutage dürfen wir als verantwortungsvolle Eltern und Ärzte nicht nur bei der vereinfachten Vorstellung bleiben, wie z.B. dass eine Impfung gegen eine Erkrankung schützt und dass ein Kind nach der Masernimpfung nicht mehr an Masern erkranken wird. Wie funktioniert das Impfen eigentlich? Was bewirkt eine Impfung außer dem Schutz vor einer bestimmten Krankheit? Und über die „unspezifischen Impfeffekte“ (Thema eines Workshps in Kopenhagen im Januar 2010) ist bis jetzt noch wenig geforscht worden.

Erfahrungen in der Kinderarztpraxis stimmen mit den Berichten der Eltern überein, daß ungeimpfte Kinder seltener an banalen fieberhaften Infekten wie Ohrenentzündung oder Bronchitis erkranken als geimpfte Kinder. Dieser Nachteil der Geimpften fällt in den Entwicklungsländern noch drastischer aus. Statistiken von einer Studie in Westafrika zeigten, dass die Sterblichkeit von Säuglingen, die gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten und Kinderlähmung geimpft wurden, in dem Jahr nach der Impfung doppelt so hoch war wie die der ungeimpften Kinder, obwohl die geimpften oft aus besseren sozialen Verhältnissen kamen und in einem besseren Ernährungszustand waren.(1) Das Komitee für Impfstoffsicherheit der WHO erkennt diesen Zusammenhang zwischen Impfung und Abwehrschwäche der Kleinkinder und fordert mehr Forschung darüber, „Impfungen sind die letzten 50 Jahre von der Wissenschaft recht einseitig untersucht worden ….. Der Einfluss des Impfens auf das Langzeit-Überleben ist bislang kaum berücksichtigt worden. „(2)

Um das besser zu verstehen werfen wir einen Blick auf das Immunsystem. Was passiert im Körper bei einer natürlichen Krankheit und bei einer Impfung?

Bei akuten Infektionen dringen die Erreger (meistens Viren oder Bakterien) über Haut oder Schleimhaut in den Organismus ein und treffen zunächst auf die Verteidigung des unspezifischen Abwehrsystems: Fress- und Killerzellen und bestimmte Eiweißstoffe, die die Eindringlinge angreifen und ihre Vermehrung hemmen. Bei dem Abwehrkampf kommt es zur Entzündungsreaktion mit Zeichen wie Rötung, Schwellung und Fieber. Diese Vorgänge durch das unspezifische Abwehrsystem hinterlassen kaum ein „Gedächtnis“. Inzwischen wird eine noch wirkungsvollere Verteidung eingeschaltet, das spezifische Abwehrsystem, das sich spezifisch gegen einen bestimmten Erreger richtet und ein Gedächtnis über ihn behält. Der Impfschutz, wie auch der sogenannte „Nestschutz“, wodurch ein Säugling in den ersten Lebensmonaten vor Infektionen geschützt wird, die die Mutter durchgemacht hat, gehören zu diesem spezifischen System.

Abwehrkräfte im spezifischen Abwehrsystem werden in zwei „Abteilungen“ eingeteilt: die zelluläre Abwehr wird durch Abwehrzellen in Körperflüssigkeiten und Gewebe geleistet, die humorale Abwehr durch spezialisierte Eiweiße im Blut, die Antikörper. Die zwei Abteilungen haben ihre eigenen Charakteristika und unterschiedliche Aufgaben. Die zelluläre Abwehr beteiligt sich an der Zerstörung unter anderen von Parasiten und Krebszellen, auch an der Abstoßung fremder Gewebe, weswegen sie bei einer Organtransplantation unterdrückt werden muss. Die Aktion wird im Gewebe hervorgerufen, wo sie auch stattfindet. Die Antikörper der humoralen Abwehr zirkulieren im Blut und haften sich an ihren passenden Partner bzw. feindlichen Gegner, die Antigenen. Diese Bindung startet eine Reihe von Reaktionen mit dem Ziel, die Antigene zu beseitigen bzw. zu zerstören. Die mütterlichen Antikörper werden auf das Kind im Mutterleib übertragen und bilden den Nestschutz im Säuglingsalter.

Informationen über die Erreger werden vom unspezifischen Abwehrsystem durch Lymphozyten an das spezifische Abwehrsystem weiter gegeben. Mit den Informationen werden die T-Lymphozyten in T-Helferzellen, die „Gedächtniszellen“ umgewandelt, die die Informationen behalten. Die T-Helferzellen-1 (TH1-Zellen) aktivieren die Abwehrzellen des zellulären Abwehrsystems. Die T-Helferzellen-2 (TH2-Zellen) aktivieren das humorale Abwehrsystem zur Produktion von biochemischen Abwehrstoffen, den Antikörpern, die mit Labormethoden im Blut als „Titer“ messbar sind. Die zwei Abteilungen von Abwehrzellen (TH1-System) und Abwehrstoffen (TH2-System) stehen unter der strengen Kontrolle von einem "Steuerungskapitän", den sogenannten regulatorischen T-Zellen. Eine Fehlregulation des TH1-Systems kann zur Intoleranz der eigenen Gewebe führen, was die Pathologie der Autoimmunerkrankungen darstellt. Ein zu starkes TH2-System mit zu vielen Abwehrstoffen kann die Ursache überschießender Abwehrreaktionen auf harmlose Substanzen in der Umwelt und Ernährung sein, was „Allergie“ bedeutet.

Ein gesundes Immunsystem hängt von einem feinabgestimmten Zusammenspiel des unspezifischen und spezifischen Abwehrsystems und einem regulierten Gleichgewicht zwischen den beiden Abteilungen TH1 und TH2 ab. Die Entwicklung zu einem reifen Immunsystem, in dem beide, zelluläre Abwehr und humorale Abwehr, balanciert sind, findet in den ersten drei bis vier Lebensjahren statt.

Impfungen aktivieren in erster Linie das TH2-System. Durch den Impfstoff wird der Erreger in abgetöteter, entgifteter oder nur abgeschwächter Form und in einer passenden Dosierung in den Organismus eingeführt, genügend, diesen zu stimulieren, Gedächtniszellen und Antikörper zu produzieren, und nicht zu viel, daß die Krankheit oder Komplikationen erzeugt werden. Eine Grundimmunisierung beginnt mit dem allerersten Kontakt des Kindes mit dem Erreger. Je nach Impfung (vorgeschrieben durch das Impfschema) muss das Immunsystem durch die Gabe von Impfstoff in bestimmten Abständen wiederholt stimuliert werden, bis ein ausreichender Impfschutz (gemessen als Antikörpertiter) erreicht wird. Damit ist die Grundimmunisierung abgeschlossen. Nach einer bestimmten Zeit fallen naturgemäß die Antikörpertiter ab. Um den gewünschten Impfschutz weiter zu behalten, muss das Immunsystem erneut durch eine „Auffrischimpfung“ („Booster“) stimuliert werden. Aus seinem Gedächtnis von der Grundimmunisierung bildet es dann rasch die notwendige Menge von Abwehrstoffen.

Diese künstliche, einseitige und heftige Stimulation des TH2-Systems ist sehr ungünstig im Säuglingsalter, in dem ausgerechnet viele Impfungen heutzutage nach dem STIKO-Impfplan durchgeführt werden. Die Gründe dafür werden in dem nächsten Artikel über die Entwicklung des Immunsystems und des Nervensystems im ersten Lebensjahr erläutert. 

Referenzen
(1) Aaby, P. et al : Routine vaccinations and child survival: follow-up study in Guinea-Bissau, West Africa, BMJ 2000, 321: 1435-8.
(2)  Ehgartner, B. 2003, zitiert in S. 69, Hirte, M: Impfen Pro & Contra. Knaur Verlag, München 2015.
  



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen